Über den Faschismus lernen?
Zwei Themen dieser Woche haben mich beschäftigt. Sie spielen in der gleichen Zeit, den späten 60er und frühen 70er Jahren.
Die aktuellen Berichte über sexuellen Missbrauch in katholischen Schulen in Deutschland sind erschütternd. Es wird von systematischen sexuellen Vergehen berichtet, quasi bestellt nach Stundenplan, vermischt mit autoritärer körperlicher Gewalt. Unsagbar widerlich. Ich erinnere mich an meine eigene Zeit 1969-1973 als 10-14-Jähriger in einem katholischen Internat.
Die Bundespräsidentschafts-Kandidatin Barbara Rosenkranz von der FPÖ hat Probleme, sich vom Nationalsozialismus zu distanzieren. Sie argumentiert mit ihrer mangelnden schulischen Bildung in den 60er und 70er Jahren. Das führt mich wieder ins Internat, zum Geschichte-Unterricht. Ich reflektiere mein eigenes historisches Lernen:
Inhaltlich sind wir (1973) bis zu Besuch Nixons in China 1972 gekommen. Als Präfekt eines Internatsjahrgangs las uns der Geschichtelehrer täglich – in Fortsetzung – aus historischen Büchern vor, ich erinnere mich an einen Roman über die französische Revolution. Jährlich zum Nationalfeiertag hielt er als Historiker des Stifts eine Rede, die die politischen Verwerfungen in Europa seit und nach dem Faschismus zum Inhalt hatte. Die Plädoyers für Freiheit und Demokratie standen in Zusammenhang mit dem Engagement für ein befreundetes Kloster in Polen und haben mich zutiefst bewegt.
Wir haben im Unterricht auch etwas über den Nationalsozialismus gelernt, wenn auch nicht so ausführlich, wie das heute der Fall ist. Meine Erinnerung daran ist überlagert von meiner späteren Auseinandersetzung mit dieser Thematik. Ich durfte Zeitzeugen kennen lernen, beispielsweise Freya von Moltke in Berlin bei einem Seminar über den Widerstand im Nationalsozialismus. Sie war mit ihrem Mann Helmuth James Graf von Moltke (1907-1945), der 1945 hingerichtet wurde, im Widerstand gegen Hitler.
Seit ich im Mühlviertel lebe (1986), besuche ich mit meiner Familie die jährliche Befreiungsfeier im ehemaligen KZ Mauthausen. Ich habe in Israel die Gedenkstätte Yad Vashem besucht und viele Bücher gelesen.
Wir haben die Freiheit, dazu zu lernen. Es gibt keinen Grund, sich auf das Schulwissen der 60er-Jahre auszureden, wenn es um die Frage der Einstellung zum Nazionalsozialismus geht. Wenn das eine Bundespräsidentschafts-Kandidatin trotzdem macht, drückt sie damit aus, dass sie entweder einfältig ist und/oder mit dem Nazionalsozialismus sympathisiert. Unsagbar widerlich.