Messiaserwartung, Judas und Karfreitag
Aufgrund der schwierigen politischen Lage Israels unter der römischen Besatzung vor 2000 Jahren gab es eine starke Messiaserwartung. Die Hoffnung richtete sich auf einen (politisch-religiösen) Führer, der die Römer aus dem Land wirft und Israel zu einem autonomen und starken Staat macht, vergleichbar der Stellung Israels unter König David und Salomon. Da es verschiedene politische Gruppierungen gab, gab es auch verschiedene Vorstellungen darüber, wie sich das Messiastum zeigen werde.
Ich stelle mir folgendes Szenario vor: Einige von den Jesus-Anhängern halten ihn für den erhofften Messias. Sie diskutieren hinter seinem Rücken über ihre diesbezüglichen Erwartungen. Judas ist als Finanzreferent der Gruppe die rechte Hand von Jesus, ein politisch denkender Mensch mit Sinn für das Soziale. Er erwartet eine Revolution und hat aus diesem Grund gute Kontakte zu allen möglichen politischen Gruppierungen, zur religiösen Führung und zu Widerstandskämpfern. Er ist ungeduldig, Jesus scheint ihm nicht zielstrebig genug. Beim Pesachfest in Jerusalem übernimmt er das Gestz des Handelns: Er inszeniert die Verhaftung Jesu. Der Begriff Verrat scheint nicht angebracht, weil sich Jesus gar nicht versteckt hält. Ein öffentlicher Schau-Prozess zur Pesachzeit, wo sich halb Israel in Jerusalem befindet, sieht er als beste Gelegenheit für Jesus, sich als Messias zu bekennen, mit den Römern und der religiösen Führung in einer grandiosen Verteidigungsrede abzurechnen und mit Hilfe des Volkes als guter Diktator die Macht zu übernehmen.
Die Rechnung des Judas geht nicht auf. Jesus hat – wenn überhaupt – eine andere Vorstellung. Er verweigert weltliche und religöse Macht und akzeptiert die grausamste Hinrichtungsart der Römer als Schwerverbrecher. Judas sieht, dass er mit seiner Vorstellung gescheitert ist und nimmt sich das Leben. Vielleicht hat er das Messiaskonzept von Jesus noch verstanden.