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Ein Mensch, der kommen wird

Beim Festival DER NEUE HEIMATFILM (Freistadt 2010) wurde der Spielfilm L´UOMO CHE VERRÀ von Giorgio Diritti (IT 2009) gezeigt. Er handelt vom „Massaker von Marzabotto“ im September 1944, bei dem die SS etwa 800 Menschen, vorwiegend Kinder, Frauen und ältere Menschen, brutal ermordet hat. Diese Geschichte vom Monte Sole nahe Marzabotto war mir bereits genauer bekannt, weil mein Sohn Nikolai an der Friedensschule am Monte Sole ein Jahr lang als Gedenkdiener gelebt und gearbeitet hat.

Den Film habe ich hervorragend gefunden. Erschüttert hat mich eine private Diskussion nach dem Film. Die Kritik kurz zusammengefasst: Die Deutschen werden zu schlecht dargestellt, man müsse einmal damit aufhören, durch solche Filme Hass auf die Deutschen zu schüren und außerdem waren die italienischen Faschisten und die Partisanen auch schlecht.

Ich halte fest:

  1. Wer so (als Österreicher/in) spricht identifiziert sich – wahrscheinlich unbemerkt – mit den Tätern, den Nazis (und nicht pauschal mit den Deutschen). Das ist schlimm genug. Möglicherweise sind diese grausamen Tatsachen emotional unerträglich und wollen verdrängt werden.
  2. Der Film hält sich im großen und ganzen an die historischen Fakten. Am Friedhof sieht man noch die Einschusslöcher in Kniehöhe: Die Kinder wurden vorne aufgestellt und als erste erschossen, damit sie nicht eventuell unter ihren toten Müttern überleben können. So waren halt die Männer der SS, Österreicher und Deutsche. Der Film übrigens zeigt auch unnötige Brutalität der italienischen Partisanen und wird deswegen auch von Italienern kritisiert.
  3. Solange noch Opfer des Faschismus leben, ist es legitim, über diese Verbrechen zu reden, zu schreiben und Filme zu drehen. Als (indirekte) Opfer des Faschismus sind auch jene Nachkommen von Überlebenden zu sehen, die durch die Verbrechen an ihren Eltern traumatisiert sind. Ich bin mit einem Überlebenden befreundet, der noch immer nachts im Traum aufschreit. Da muss noch lange davon geredet werden.
  4. Auch anhand des kürzlich aufgebrochenen Themas „Missbrauch in kirchlichen Internaten“ kann man klar sehen: Es braucht Jahrzehnte, bis sich Opfer äußern und ihrem Trauma stellen können und bis sie von der Gesellschaft gehört werden. Ich erlebe an mir als ehemaligem Internatsschüler von Kremsmünster – obwohl ich persönlich nicht missbraucht wurde – wie groß meine Wut und emotionale Betroffenheit jetzt (erst) ist und wie mir das alles nahe geht, wenn ich davon spreche. Die Rede vom „endlich aufhören darüber zu reden“ ist unerträglich!

L´UOMO CHE VERRÀ / DER MANN, DER KOMMEN WIRD
l uomo che verra

IT 2009, 117 min, italienische OF mit englischen UT, R: Giorgio Diritti, B: Giorgio Diritti, Giovanni Galavotti, Tania Pedroni, K: Roberto Cimatti, S: Giorgio Diritti, Paolo Marzoni, M: Marco Biscarini, Daniele Furlati, D: Alba Rohrwacher, Maya Sansa, Claudio Casadio

GIORGIO DIRITTI
Geboren 1959 in Bologna. Zusammenarbeit mit Florestano Vancini, Carlo Lizzani, Lina Wertmüller, Pupi Avati. Casting-Verantwortlicher für Filme in der Emilia Romagna, darunter “La voce della luna” von Federico Fellini.

Winter 1943. Die achtjährige Martina lebt an den Hängen des Monte Sole, nicht weit entfernt von Bologna. Sie ist die einzige Tochter einer Bauernfamilie, die wie so viele gerade genug zum Überleben hat. Vor Jahren hat sie einen kleinen Bruder verloren und spricht seitdem nicht mehr. Sie beobachtet allerdings, hört zu und schreibt. Im Dezember wird die Mutter erneut schwanger. Die Monate vergehen, während sich das Kriegsgeschehen immer mehr nähert. In der Nacht vom 28. auf den 29. September 1944 kommt der Kleine endlich auf die Welt. In der gleichen Nacht beginnt die SS ein Blutbad anzurichten, das bis zum 5. Oktober andauert. Es wird als “Massaker von Marzabotto” in die Geschichte eingehen. Ungefähr 770 Personen, darunter vor allem Kinder, Frauen und ältere Menschen werden getötet, um die PartisanInnen, die an der “gotischen Linie” agieren, einzuschüchtern.

(aus dem Programmheft des Heimatfilm-Festivals Freistadt)

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3 Antworten

  1. Also ich denk mir, diese Erinnerungs- und Gedenkarbeit ist nicht an die Lebenszeit der Opfer samt ihren traumatisierten Nachkommen gebunden. Diese Verbrechen waren so exemplarisch und ein derartiger Kulturbruch (natürlich am Extremsten im Holocaust), dass das Erinnern und Gedenken daran eine Bringschuld eines jeden human gesinnten Menschen sein muss. Oder, umgekehrt: Wenn dieses Erinnern und Gedenken einmal endet, dann ist in Bezug auf die humanen Grundlagen unserer Gesellschaft Feuer am Dach.

  2. johann moser sagt:

    Da bin ich ganz deiner Meinung und ich habe das zu salopp formuliert. Mich erschüttert aber immer wieder besonders die Respektlosigkeit vor den noch lebenden Opfern. Und ohne dass das den „Beschwichtiger/innen“ bewusst ist, zeigt das Gerede vom „Schlussstrich ziehen“, auf welche Seite sie sich stellen.

  3. reinhard rohrwacher sagt:

    Ich bin Deutscher, lebe seit 36 Jahren in Italien und seit immer ueberzeugter Antifaschist. Ich fahre sehr oft nach Marzabotto und kenne einige Ueberlebende,die bei den Filmarbeiten dabei waren, genauso wie viele Angehoerige der Opfer. Nach all diesen Jahren wurde endlich eine Luecke geschlossen. Dieser Film beruht auf einer Wahrheit, die nicht vergessen werden darf, nicht in Deutschland und nicht in Italien. Jetzt die Frage: Wieso ist der Film, der im Prinzip in jeder hoeheren Schule gezeigt werden muesste noch nicht einmal in deutsche Kinos gekommen, ausser 2-3 Filmfestivals, aber sonst ueberall? Was ist das, Beformundung oder schlicht und einfach Zensur? Verschweigen und Vergessen auch nach 70 Jahren ist eine grosse Buerde fuer die Zukunft dieses Volkes, vielleicht zu gross.

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