Gendergerechte Sprache?
Ein merkwürdiges Fallbeispiel zum Thema gendergerechte Sprache.
Meine Frau erlebt an der UNI einen Vortrag einer Sozio-Linguistin (Sprachwissenschafterin). Diese spricht von sich immer als Sozio-Linguist (in der männlichen Form) und auf eine diesbezügliche Frage meiner Frau nach dem Vortrag erklärt sie, dass sie das absichtlich macht, weil sie das gendergerechte Sprechen nicht mag. So weit so gut.
Meine Frau erzählt mir daheim, dass sie einen interessanten Vortrag eines Sozio-Linguisten (in der männlichen Form) gehört hat und dieser Sprachwissenschafter viel Erfahrung hat. In mir entsteht logischerweise (und meines Erachtens richtigerweise) das Bild eines männlichen Referenten.
Diese Geschichte zeigt, dass ein Mindestmaß an sprachlicher Differenzierung nowendig ist, um (Gender-)Sachverhalte richtig zu transportieren. Wenn eine Frau von sich spricht oder wenn von nur einer Frau die Rede ist, dann ist einzig die weibliche Form sprachlich richtig. Egal ob der weibliche Sozio-Linguist das so will, ob der weibliche Architekt das so will, ob der weibliche Deutsch-Lehrer das so will, ob der weibliche Chef das so will. Weil man sich sonst nie Wissenschafterinnen, Architektinnen oder Chefinnen vorstellen kann.
Man muss es nicht übertreiben. Aber wenn eine Projektgruppe an der Schule nur aus Schülerinnen besteht, die unter sich von sich in der männlichen Form reden, dann irritiert mich das und ich weise sie (liebevoll) darauf hin. Die (sozial) Begabteren verstehen das.
Noch was: Ich bin der Gender-Beauftragte an unserer Schule. Und ja, sowas gibt es.
Ich tendiere eher dazu, in den (beiden) genannten Beispielen einen bewußten bzw. unbewußten Ausdruck von Gruppenzugehörigkeit zu sehen. Natürlich steht da die aktuell forcierte Perspektive im Weg, einen (logisch) notwendigen Zusammenhang zwischen Genus und Sexus bei natürliche Lebewesen bezeichnenden Begriffen zugrundezulegen. Der Begriff „Soziolinguist“ oder „Schüler“ wird dabei nicht sexus-neutral aufgefaßt, sondern, abgeleitet vom masculinen Genus, eben als „männlich“.
Daraus folgt natürlich, daß Gruppen wie „Soziolinguisten“ oder „Schüler“ sprachlich immer in wenigstens zwei weitere Gruppen unterteilt werden (hier): Soziolinguistinnen und Soziolinguisten sowie Schüler und Schülerinnen. Ein sprachlich wie mental einigender Ordnungsbegriff, der einen Berufsstand oder eine Gruppe übergeordnet und unabhängig vom Geschlecht bezeichnet, muß darum erst wieder über nicht befriedigende Umwege wie das Präsenspartizip eingeführt werden.
Meiner Erfahrung nach evoziert und begründet gerade die inkludierende und exkludierende Gruppenzuweisung Diskriminierung, weil sie jenseits des Individuums Merkmale der Unterscheidung artikuliert, die – das Individumm als Ganzheit betrachtet – jeden einzelnen Menschen nur unzureichend beschreibt.
Wer als Frau von sich sagt, Soziolinguist zu sein (und eben nicht Soziolinguistin), bringt – meiner Meinung nach – damit die selbst-bewußte Gruppenzugehörigkeit zur Menge des im Berufsstand vereinigten Frauen und Männern zum Ausdruck, die nicht das unterschiedliche Geschlecht, sondern das gemeinsame Interesse an Soziolinguistik betont.
Ich bin mir nicht sicher, ob das aus meiner Sicht: vermeintliche „zur Sprache bringen“ der Frauen nicht das „Konstrukt Gender“ nicht mehr stärkt und Menschen durch diese Sexusdifferenzierung in der und durch die Sprache nicht mehr trennt und schubladisiert, als notwendigereise eint. Zudem rückt diese sprachliche Unterscheidung das Geschlecht (Sexus bzw. Gender) als konstitutives und bestimmendes Merkmal eines Individuum meiner Meinung nach weit mehr in den Vordergrund und nimmt damit dem Individuum die selbstbestimmte Möglichkeit, die Selbstdefinition (z. B. als Soziolinguist) frei zu gewichtend bestimmen.
Menschenwürde, Gleichberechtigung und Toleranz begründen sich immer aus erkannter Gemeinsamkeit, die einer zufälligen Gruppenzugehörigkeit übergeordnet ist.