Der Zorn ist richtig

Die ZEIT bringt ein interessantes Interview mit Klaus Mertes, dem Rektor des Berliner Canisius-Kollegs, der den Missbrauch-Skandal als Erster öffentlich gemacht hat. Zwei Aspekte des Gesprächs möchte ich herausgreifen.

Der Zorn ist richtig. Ein Gespräch mit Pater Klaus Mertes, dem Rektor des Berliner Canisius-Kollegs, Die ZEIT, 15.4.2010.

Mertes: … Es gibt die stellvertretende Übernahme von Schuld. Dass sich jemand als schuldig bekennt, ist doch die entscheidende Voraussetzung für einen Versöhnungsprozess! Wie könnte ich sonst eine Entschuldigung aussprechen?

Diese Schuldübernahme sehe ich etwas differenzierter: Vor einem Schuldbekenntnis muss eine Einsicht der Täter stehen. Ein stellvertretendes Schuldbekenntnis ist weniger hilfreich (für die Opfer) und hat für mich auch einen Hauch von Hybris oder Heuchelei: Die Schuld eines Anderen kann leicht bekannt werden.

Für die Schuld-bekennenden Kirchenvertreter gäbe es genug anderen Schuldanlass in der gleichen Thematik: dass sie bisher nicht gehandelt haben, dass sie den strukturellen Zusammenhang zum Missbrauch religiöser Macht nicht sehen wollen, dass sie blinden Gehorsam gegenüber Päpsten höher stellen als eventuelle Einsicht oder Widerstand, dass sie nicht genug für die Änderung kirchlicher Strukturen tun.

ZEIT: Wenn wir über Macht sprechen: Wo ist in dieser Hinsicht der blinde Fleck der Kirche?

Mertes: Dass sexueller Missbrauch immer der Missbrauch von Macht ist. Das verbindet die sexualisierte Gewalt mit den sadistischen Prügeltaten.

ZEIT: Was wäre ein adäquater Umgang mit kirchlicher Macht?

Mertes: Macht muss der Freiheit dienen, im Sinne des Freiheitsgesetzes vom Sinai (Moses erhielt dort der Überlieferung nach die Zehn Gebote, Anm. d. Red.). Ein Gegenbeispiel dafür wäre: Es steht keinem Menschen zu, einem anderen Menschen in der Autorität Gottes zu sagen, was er zu tun und zu lassen hat.

ZEIT: Das darf auch kein Priester?

Mertes: Auch kein Priester.

ZEIT: Auch kein Papst?

Mertes: Auch kein Papst.

ZEIT: Da fängt der Missbrauch an?

Klar. Da beginnt der Missbrauch. Über den Missbrauch der Gottesrede habe ich schon öfter geschrieben. In der jüdischen Tradition ist das Auftreten gegen den Missbrauch religiöser Macht und Symbole stark verankert, die Geschichte der jüdischen Gotteserfahrung kann als Geschichte der Abkehr von einem autoritären und durch Machthaber missbrauchbaren Gottesverständnis gelesen werden.

Nur eine Kirche, die an dieser Haltung (auch des Jesus von Nazaret) anknüpft, ist mit der modernen Welt kompatibel.

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Schulleiter Klaus Mertes, © Klaus-Dietmar Gabbert/dpa

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