Wieviel sind 10% von 100?

Update: Hier finden Sie die Lösung.

Erschütternde Erfahrungen bei zwei Aufnahmeprüfungen in Rechnen (den Begriff Mathematik verwende ich lieber nicht). Nachdem die schriftliche Aufnahmeprüfung bereits an ähnlichen Fragestellungen scheiterte, wollte ich im mündlichen Prüfungsgespräch die Denkweise und Lernfähigkeit von zwei 14-Jährigen ergründen.

Bei „10% von 200?“ erntete ich Kopfschütteln, bei „10% von 100?“ wurde zuerst 90 und dann 50 geraten. Die Antwort 90 deutet ja wenigstens auf falsch auswendig Gelerntes hin. Ich wollte es mit einer anderen „Sprache“ versuchen: „fifty-fifty bei 100, was ist das?“ führte zum Erfolg, „fifty-fifty von 200″ war bereits unlösbar.

Bei 5% von 100 erhielt ich wenigstens den Versuch eines Bruchterms 5*100/100, der nach mühsamen Versuchen des Kürzens das Ergebnis 2 (!) brachte. Erklärungsversuch der Kandidatinnen: Das habe ich nicht gelernt. Ähnliche Ergebnisse bei einfachen Schlussrechnungen.

Was passiert da in acht Jahren Grundschule? Was ist mit einem Teil unserer Jugend eigentlich los?  Wie muss Schule gedacht werden, dass so etwas nicht passieren kann? Oder bin ich ein unrealistischer Träumer?

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8 Antworten

  1. Simon Voggeneder sagt:

    Nun, ich musste kurz lachen. Aber eigentlich ist es traurig, das zu lesen.

    Ich maße mir an, das schon vor dem Erreichen des 14. Lebensjahres beherrscht zu haben. Traurig, dass es manchen Leuten mit 14 Jahren immer noch so schwer fällt, ganz einfache Brüche auszurechne. Dabei rechne ich noch nicht einmal richtig. Ich stelle mir die Mengen graphisch vor und kann mir so durch Assoziation die Aufgaben so kürzen, dass sie sich von selbst beantworten (sozusagen ein assoziatives Array im Kopf: 5, 10, […] für % von 100 in 5er-Schritten, für Vielfache von 100 ist dann nur noch Indizierung und Multiplizierung, mit einer denkbar niedrigen asymptotischen Laufzeitkomplexität, um in der Sprache der Informatik zu sprechen).

    Ich bin der Meinung, dass der Stoff einfach falsch gelehrt wird. Er ist zu wenig greifbar und nur die wenigen Schüler (die ‚Talent‘ haben, was tatsächlich aber darin besteht, sich Zahlen eben in anschaulichen Mengen visuell zu merken) tun sich leicht. Tatsächlich müssten sich alle Schüler in Mathematik leicht tun.

    Bildungspolitik, wo bist du?

    Liebe Grüße
    Simon Voggeneder

  2. johann moser sagt:

    Naja Simon, das Lachen ist mir heute wieder einmal vergangen. Wahrscheinlich wird es auch falsch gelehrt, mit diesem blöden Schlussrechnungs-Schema (auch beim Prozentrechnen), anstatt es sich vorzustellen. Das Pech ist halt, dass bei drei Schemata die Chance auf richtiges Raten nur 1:3 ist.

    Dass man „intellektuell“ so daneben sein kann, geht nicht in mein Hirn. Aber wir müssen davon ausgehen, dass ich heute nicht die einzigen beiden vor mir hatte. Gehen wir von 10% (!) bis 20% der Jugendlichen aus, die diese Probleme haben. Dann wird auch verständlich, warum wir bei politischen Wahlen solche Ergebnisse haben: irgendwann muss man ja „recht(s)“ haben!

  3. johann moser sagt:

    Bemerkenswert ist die hohe Besucherzahl dieses Artikels bereits nach ein paar Stunden. Darf ich vermuten, dass viele Leute “Wieviel sind 10% von 100?” googeln und dann auf meine Seite kommen? Da hätte ich doch wenigstens das richtige Ergebnis erwähnen sollen! Oder wie soll ich mir das sonst vorstellen?

  4. Simon Voggeneder sagt:

    Es könnte natürlich auch sein, dass die bemerkenswert hohe Besucheranzahl daher rührt, dass dieser Artikel von Sebastian via facebook verlinkt wurde – so habe ich zumindest hierher gefunden (und finde diesen Artikel, nebst anderen bildungspolitisch kritischen, sehr interessant!).

    Lachen kann ich darüber auch nur einen Moment, dann wird mir bewusst, wie prekär die Lage eigentlich um unser Bildungssystem bestellt ist. Da gehen Leute mindestens neun (!) Jahre in die Schule, um dann etwas nicht zu beherrschen, was bei makelloser Bildung durch das Lehrpersonal meiner Meinung nach wenigen Jahren (ausgehend von einem Nichtverständnis des Zahlensystems als solches) bereits bombenfest sitzen müsste. Tatsächlich könnte man ein solches Wissen in intensiven Blöcken (ohne Lernfrust) bereits binnen Monaten verinnerlichen. Gehirn-gerechte Lernmethoden machen es möglich! Aber ich überspanne den Bogen mit dieser visionären Aussage sicher ein wenig – gewollt.

    Wenn ich 10 bis 20 % der Jugendlichen mit solchen Problemen sehe, dann sehe ich dahinter ein gewaltiges Potential zur Massenverdummung, wenn sich so etwas durch die Wissensgebiete zieht. Politisch ist das nicht unbedingt von Bedeutung, wie ich finde (ich gebe zu, selbst auch mehrere Wahlen rechts gewählt zu haben, im Denken, ich würde mich dort eher wiederfinden – davon bin ich mittlerweile abgekommen), jedoch äußert es sich in sehr un-bewussten Handlungen des Alltags. Steuerung durch die Medien finde ich hier sehr viel bedenklicher als den politischen Impact (wobei die beiden Themen ja stark zusammenhängen, Hans Dichand ist ja der Quasi-Kaiser der Republik Österreich geworden).

    Zum Thema selbst: Ich habe mich eine Weile als Nachhilfelehrer angeboten, für verschiedenste Fächer. Vor allem Rechnungswesen war populär und ich durfte mit Schülerinnen (keine männlichen Kandidaten darunter) von 14 bis 19 Jahren arbeiten. Ich war immer wieder erstaunt darüber, wie wenig ‚Hausverstand‘ mitgebracht wird. Für mich ist es glasklar, dass 20% von 4000 800 sind. Für mich ist es glasklar, dass, wenn ich einmal 200 Euro dazu rechne und dann wieder 200 Euro abziehe, nicht das Rechnen anfange sondern einfach den Ursprungsbetrag hinschreibe. Die Mädels zückten da ernsthaft den Taschenrechner.

    Ich muss ehrlich zugeben, dieser Herausforderung nicht gewachsen zu sein. Ich bin froh, es nicht mehr zu machen, da ich mich innerlich immer furchtbar geärgert habe – einerseits, dass die Kinder es nicht verstehen, andererseits, dass ich es ihnen nicht vermitteln konnte. Aber wie soll ich in wenigen Stunden das aufholen, was binnen vieler Schuljahre verabsäumt wurde? Moderne positive Psychologie meint ja, man soll nach dem scheinbar Unerreichbaren greifen, doch es gibt Grenzen, was man binnen einer gewissen Zeitspanne an einem Menschen an Veränderung bewirken kann.

    Am Schlimmsten finde ich immer noch den nachhaltig erloschenen Forscherfunke in den Burschen und Mädchen, denen ich begegne. Wo ist sie hin, die einstmalige lodernde Begeisterung, Neues zu entdecken, zu erforschen und zu verstehen? Schule von heute ist in erster Linie ein Motivationskiller. Da ist anzusetzen. Und dann wird sich der Rest in meinen Augen auch von selbst lösen.

    Mit deinem Unterricht (falls ich dich mittlerweile duzen darf ;)) setzt du ja bereits Akzente in diese Richtung, so weit ich mich erinnern kann. Ein Ausblick auf ein lohnbringendes Ziel und selbstdenkendes Arbeiten in diese Richtung, mit gezielter Motivation, ohne destruktiv-niederschmetternde Kritik. Dass die Lernkurve anfangs flach ist, hat ein Pädagoge meiner Meinung nach einfach zu verstehen. Das ist die Natur des Lernens, es ist ein Schneeballsystem.

    Um es auf den Punkt zu bringen, möchte ich mit folgenden Worten schließen:

    Ignite a spark and feed the flame.
    That’s all that’s to it, in any endeavour ever commited throughout the history of mankind.

    Liebe Grüße
    Simon

  5. Heute kaufte ich im Weltladen zwei Packerl Tee á 4,45€. Auf meinen angebotenen 10 Euro Schein reagierte die junge Verkäuferin unsicher. Sie musste erst den Taschenrechner suchen. Was soll man da sagen bzw. denken?

  6. Sybille sagt:

    Meine bescheidene Meinung: Die Kids bei uns sollten so etwas können – und sie würden es auch können, wenn es sie bloss interessieren würde. Im beschriebenen Fall ist es wohl – wie in vielen anderen Fällen auch – so, dass die Befragten noch nie in die Verlegenheit kamen, festzustellen, dass dieses Wissen nützlich ist!

    Trotzdem können wir froh sein, dass unser System es den Kids zumindest THEORETISCH möglich macht, solcherlei Dinge zu lernen. Im Vergleich dazu sieht es in anderen Ländern zappenduster aus… da wird auch mal bei „100 plus 200“ der Taschenrechner gezückt…

  7. Katta sagt:

    Ja es braucht definitiv besseren Matheunterricht, der individuell auf das Schülerdenken abgestimmt ist und lebendig ist. Montesssori hat da sehr gute Ansätze.

    Ich hatt leider Matheleher die jeden Forscherfunken rigoros abgewehrt haben, hat ja nur im Durchpeitschen des Stoffs gestört. Nu, irgendwann haste dann keine Lust mehr wenn der Lehrer schon mit den Augen rollert, wenn du dich meldest. Für neugierige Frager hat doch das Schulsystem keine Zeit. In meiner Grundschulzeit war es halt so, dass es jeder zur gleichen Zeit gefressen haben musste hatte. Da wurden die Amschauungsmittel ab Tag X einfach verbannt und Fingerzählen wurde mit drastischen Strafen belegt, wer da nicht mitkam wurde als blöd abgestempelt. Die Mittelschule durfte dann reparieren was schieflief was nicht immer gelang… Dann waren beide frustriert Schüler und Reparateur. Ich fand Mathe imer dröge und blöd… Wenn man verstehen will und keiner erklärt es dir so das du es verstehst.

  8. Marie sagt:

    ich kann Katta da nur meinen Zuspruch zuteilen.
    Meine Schullaufbahn war eine Katastrophe. War auf der Waldorfschule und habe massive Rechenprobleme. Schon früh zeichnete sich ab, dass ich nicht „mithalten“ kann mit meinen weiteren 32 Mitschülern. Schon früh verlor ich den Anschluss, hatte ständig das Gefühl, nicht schnell genug zu sein und keine Bezugsperson die mir dabei half, und/oder Mathematik mir greifbarer machte. Hatte ich dann etwas wenigstens ansatzweise verstanden, wurde es vom Lehrer am nächsten Tag revidiert bzw als „falsch beigebracht“. Somit bin ich schon in frühester Kindheit an der Mathematik verzweifelt. Hinzu kam ein überaus jähzorniger Vater der meine kompletten Schulhefte zerriss, meinen Schreibtisch umwarf und mich in mein Zimmer einsperrte damit ich lerne. Mit einer lebensbedrohlichen Angst von kleinauf herangewachsen, habe ich aus solchen Ängsten vor meinem gewalttätigen Vater, die schlechten Schulaufgaben auf dem Heimweg in den Müll geschmissen, aus Angst vor Schlägen und was noch viel schlimmer war, die dermaßen unmenschliche verbale Demütigung. Es kam dazu, dass ich sogar die Unterschriften meiner Eltern fälschte – aus purer Angst und Verzweiflung.
    Bin schlussendlich von der Waldorfschule „gegangen worden“ – mit dem Gefühl, nie einen Ansprechpartner gehabt zu haben.
    Heute bin ich in therapeutischer Betreuung und habe mit massiven Angstattacken zu kämpfen. Gerade wenn es darum geht etwas auszurechnen, und sei es für Euch „normalen“ Menschen da draussen „nur“ 4, 45€ von 10€ abzuziehen, bekomme ich solche Angst, jemand bemerkt meine Dyskalkulie. Gerade vor Männern tritt die Angst unkontrolliert ein – vor allem davor, blossgestellt zu werden. Wie soll ein Mensch so Mathematik lernen? Immer wieder versuche ich mich, und taste mich langsam voran, doch die Angst und die Bilder der Erlebnisse sitzen tief. Die Scham ist hoch, davor als dumm bezeichnet zu werden (O-Ton meines Vaters: „Du bist so dumm, Du kannst noch nicht mal bei Aldi Regale einräumen, wenn Du so weiter macht. So etwas dummes hab ich noch nie gesehen. Ich schicke Dich ins Internat…) ! Und auch, dass jemand „merkt“ oder „sehen“ kann, was ich furchtbares ich über mich habe ergehen lassen.
    Wie soll ein Mensch so je eine „Freude“ und Interesse an der Mathematik (und am Leben) erhalten, wenn er mit solch einem Druck und so einer Aggressivität heranwächst? Irgendwann war mein Interesse an allem erstickt, ich konnte einfach nicht mehr, habe mich „zurück gezogen“ aus der Welt und nur noch geschlafen um all das erlebte nicht auszuhalten und zu verdrängen. Nicht einmal meine Mutter hat sich getraut, sich von ihm zu trennen oder ist zur Polizei gegangen, aus purer Angst vor ihm. Heute habe ich teilweise Angst unter Menschen zugehen, die Scham ist so hoch und auch, dass man sehen kann was ich durchlebt habe. Einzig und allein die Therapie kann mir helfen, mich etwas zu stabilisieren.
    Vielleicht verstehen jetzt einige hier, warum manche Frauen nicht rechnen können (und es irgendwann auch einfach nicht mehr können wollen).. ?!

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