Nanotechnologie und Wahrnehmung

Erstaunlich unbekannt sind die Konsequenzen, die die Nanotechnologie auf unser Verständnis von Wahrnehmung und Wirklichkeit hat. Den Wissenschafter/innen zwar bekannt, aber in ihrer Tragweite zu wenig diskutiert und reflektiert. Worum gehts?
Nanotechnologie ist Technologie im mikroskopisch kleinen Bereich, wo die Größenordnungen kleiner sind als die Wellenlänge des Lichts (400 – 800 Nanometer). Das hat zur Folge, dass diese kleinen Teile nicht mehr herkömmlich optisch sichtbar sind, auch nicht mit Hilfe eines starken optischen Mikroskops. Die Nanowelt wird mit Hilfe von Elektronenrastermikroskopen abgetastet (nicht: gesehen), die vom Rastermiskroskop gewonnen Daten werden interpretiert und diese Daten-Interpretation wird grafisch dargestellt. Eine bestimmte Art der Darstellung dieser Daten ist nicht zwingend. Die Art der grafischen Darstellung bedingt unser Bild von der Nano-Wirklichkeit.

Genau genommen kann man gar nicht vom Aussehen beispielsweise eines Moleküls sprechen, wenn man mit dem Aussehen eines Objektes Form und Farbe verbindet.

Weil die Bilder der Nanowelt Ergebnis von Daten-Interpretation sind, werden die Nano-Objekte vorwiegend mit schematischen einfachen geometrischen Formen wie Kugel, Zylinder, Dreieck u.a. dargestellt. Die Bilder suggerieren unmittelbares Aussehen dieser Objekte, aber das ist eine Illusion: Wir sehen die Dinge nicht, wie sie sind und wir sehen die Dinge, wie sie nicht sind. Wir tasten die Dinge wie mit einem Blindenstock ab und machen uns Vorstellungen über ihre Aussehen.

Hier sehe ich eine interessante Anknüpfung zur Bildenden Kunst: Auch hier wird visualisiert, visuell eine Wirklichkeit interpretiert, allerdings mit einem anderen Anspruch und zumindest im Bewusstsein, dass die Bilder der Kunst Interpretation der Wirklichkeit und nicht die Wirklichkeit selber sind.

Insbesondere in der (visuellen) Medienkunst werden ebenfalls digitale Daten komputiert und (visuell) interpretiert. Wissenschaft und Medienkunst zielen auf die Entwicklung einer neuen Vorstellungs- und Einbildungskraft ab, die auf Berechnung und Interpretation digitaler Codes und Algorithmen beruht.

In diesem Sinn empfiehlt sich für Medienkünstler/innen die Beschäftigung mit der Vorstellung von Erkenntnis, Wahrnehmung und Wirklichkeit in den Wissenschaften.

Literatur

  • Einen verständlich lesbareren Überblick über Nanotechnologie gibt unter anderem Marianne Oesterreicher (Hg.), Highlights aus der Nanowelt, Herder Spektrum, 2006.
  • Ein Gespräch mit dem amerikanischen Wissenschaftshistoriker Peter Galison über die zweifelhafte Aussagekraft wissenschaftlicher Abbildungen in Die Zeit.

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