Lehrer arbeiten nicht genug? Meine Bestandsaufnahme.

Die aktuelle Debatte um die Lehrerarbeitszeit ist aus zumindest zwei Gründen völlig daneben:

Erstens geht es nicht um längere Arbeitszeit der Lehrkräfte, sondern um eine Lohnkürzung um etwa 10%, wenn man 10% mehr arbeiten muss für den gleichen Lohn. Das ist übrigens kein Solidarbeitrag, wie unsere Frau Bildungsministerin erklärt, sondern unsolidarisch: an jeder Schule werden dadurch etwa 10% der Posten weggekürzt. Ein paar zusätzliche Stunden kommen vielleicht dazu für die konzeptlosen Neue-Mittelschul-Versuche. Ziehen wir diese Lohnkürzung bitte flächendeckend durch: beginnend in den Ministerien und bei den MinisterInnen und ParlamentarierInnen, bei den BildungsexpertInnen, in den Landtagen, bei den Landesschulräten, bei den Landes- und Gemeindebediensteten, bei der Exekutive, bei allen Top-Managern (die derzeit gar nicht so Top aussehen).

Zweitens glauben jetzt alle, die einmal in der Schule waren, dass sie Bildungsexperten sind und wissen, was Lehrer/innen (nicht) tun. Zählen wir jetzt einmal jene 20% Österreicher/innen weg, die nicht einmal zusammenhängend lesen und schreiben können, dann jene, die zumindest nicht über höhere Schulen mitreden können, weil sie nie eine besucht haben und dann jene, die in der Schule mehr oder weniger gescheitert sind, so reduziert sich das Maß der BildungsexpertInnen allerdings erheblich. Ich vermute, dass es jeweils der versteckte Hass auf die eigene Dummheit ist, der hinter dem Lehrerhass steht.

Ohne jetzt lange inhaltlich zu argumentieren werde ich in Folge einen wöchentlichen Tätigkeitsbericht als Lehrer abgeben: über meine Arbeit, die nicht in der Klasse stattfindet. Dass es um 1:1 Vorbereitung geht, ist natürlich ein Blödsinn. Es gibt Konferenzen, bürokratischen Kram, Hausübungen und Schularbeiten sind zu erstellen und zu korrigieren und es gibt allerhand zusätzliches Engagement, von dem unsere Ministerin nichts weiß, weil es sie offenbar gar nicht interessiert. Beispielsweise gibt eine Kollege seit Jahren (!) Migrationskindern unentgeltlich und freiwillig einmal wöchentlich zusätzlichen Deutsch-Unterricht.

Die Woche vom 23. – 27. Februar 2009

Am Montag ein paar Vorbereitungsarbeiten für den Webdesign-Unterricht. Weil sich die Webdesign-Szene (Technik, Konzepte) laufend ändert, muss ich mir neue Konzepte aneignen. Zum Glück unterrichte ich vier Gruppen des gleichen Jahrgangs, daher lohnt sich der Aufwand. In diesem Fall gehts um Bildergalerien der Wochenzeitschrift “Die Zeit”, die wir im Unterricht dann programmieren. Es soll ja für die SchülerInnen aktuell und interessant sein. Am Nachmittag probt eine Gruppe von Lehrkräften ihren Beitrag für den gemeinsamen Schulfasching, ich bin dabei. Abends Konzeption der schriftlichen Mathematik-Matura, das ist diesmal etwas mehr Arbeit, weil sich auch ein Externist angemeldet hat. Ich werde die Aufgabenstellung so wählen, dass auch er eine reelle Chance auf die Matura hat. Diesen Externisten habe ich übrigens kürzlich an die Schule eingeladen, um ihm zu zeigen, wie wir den Mathematik-Unterricht computergestützt gestalten und ihm das Software-Handling gelernt. Freiwillig, versteht sich. Das war aber eigentlich in einer anderen Arbeitswoche.

Am Dienstag gratis Nachhilfe-Unterricht in Mathematik für einen Schüler mit ägyptischem Migrationshintergrund eines BORG in Mathematik. Weil ich die Eltern einmal kennen gelernt habe und ich will, dass auch Kinder mit Migrationshintergrund die Matura schaffen. Ich betone: Ich gebe grundsätzliche keine Nachhilfestunden und ich halte das Nachhilfewesen für einen Schwachsinn. Daran sind nicht die Lehrkräfte schuld: Die SchülerInnen sollten lieber (teilweise betreut) miteinander lernen. Das ist aber eine Frage des Bildungssystems. Die Schulfaschingsfeier findet übrigens in meinen Freistunden statt, die ich sonst für Vorbereitungen nützen kann. Macht nichts.

Mittwoch: üblicher Arbeitstag ohne erwähnenswerte Tätigkeiten.

Am Donnerstag muss ich eine schriftliche Matura in Mathematik zusammenstellen – unter Zeitdruck, weil sich mein Direktor im Abgabetermin vertan hat, sie soll bis am nächsten Tag fertig sein. Angabe inklusive Lösung in druckreifer Form. Ich bin um 19 Uhr fertig und gönne mir eine kurze Pause. Das Basteln an interessanten Aufgabenstellungen mache ich grundsätzlich sehr gerne, lohnt in diesem Fall aber den Arbeitsaufwand nicht: Bei nur 5 KandidatInnen gibt es nur Bezahlung für 5 korrigierte Arbeiten. Abends muss ich noch die schriftliche Matura für Informationstechnologie, Fachbereich Webdesign, überarbeiten und mit meinen beiden Kollegen aus Multimedia und Software per E-Mail koordinieren. Die Arbeit wird nicht ganz fertig, weil mein Kollege aus Software seine Angabe erst um 22 Uhr per E-Mail sendet, ich aber um 21:45 meine Arbeit beende.

Am Freitag Nachmittag 3 Stunden schulinterne Lehrerfortbildung: Eine Gruppe von LehrerInnen bildet sich freiwillig in der Freizeit fort. Thema ist EXCEL 2007, neue Oberfläche, neue Funktionen und Features. Am späten Nachmittag wird der schriftliche Maturavorschlag für die drei Fachbereiche Informationstechnologie fertig. Für den Abend habe ich mir vorgenommen, auf meinem privaten (!) Webserver für eine Schülerin, die Probleme mit ihrem Notebook hat, einen Datenbankzugang mit dem CMS Joomla einzurichten, damit sie ihre Übungen machen kann. Das schaffe ich nicht mehr, weil ich den Abend dem Privatleben gewidmet habe. Mache das erst am Montag. Ein Kollege erinnert mich, dass ich mich bei der Geschäftsführerin des Sozialservices melden soll. Es geht um die neue Homepage, die ich mit einer SchülerInnengruppe im Fach Projektmanagement erstellt habe (die eigentliche aufwändige Überarbeitung habe ich in meiner Freizeit gemacht). Ich schreibe ihr am Samstag eine E-Mail mit weitergehenden Vorschlägen.

Am Freitag findet eine engagierte Diskussion mit KollegInnen in der Mittagspause statt: Ein Kollege, der jahrelang “in der Wirtschaft” gearbeitet hat, meint, dass es in der Wirtschaft gemütlicher war: Gespräche, Kaffeepausen, E-Mails, Rauchen alles während der Arbeitszeit. Und wenn man einmal nicht so gut drauf ist, konnte man ein wenig leiser treten. Und insgesamt ging alles mit weniger Druck ab und man befindet sich nicht immer “auf der Bühne”. Im Unterricht muss man aber immer 25 bis 36 Leute in Griff haben, da gibt es keine Gelegenheit zu Unkonzentriertheit.

Zugegeben: Ich genieße während der Arbeit am privaten Schreibtisch Tee, ein Joghurt und gelegentlich ein Stück Schokolade, höre nebenbei manchmal Musik. Auch ein paar E-Mails werden beantwortet und einen Blick in die Onlineausgabe von Standard, Presse und Zeit gönne ich mir. Glücklicherweise verfüge ich über kein Fernsehgerät und schafft mir dadurch täglich (durchschnittlich) drei Stunden Freiraum. Meine Schlafzeit ist normal, auch für Sex bleibt noch Zeit. Mein Fortpflanzungspensum (2 Kinder) habe ich erreicht.

Nachtrag 1: Vergessen habe ich noch folgende Tätigkeiten: Am Freitag stelle ich noch in unsere Online-Plattform Moodle für die SchülerInnen die ersten Projektthemen für ihre Maturaprojekte. Das sind vorerst drei Webdesign-Projekte: Unternehmer melden sich bei mir und deponieren den Wunsch nach Projekten mit unseren SchülerInnen, ich gebe die Anregungen weiter und koordiniere die Projekarbeiten für alle drei IT-Bereiche Multimedia, Webdesign und Software. Gehört zum Fach Webdesign und ist eine Tätigkeit außerhalb des Unterrichts in der Klasse.

Nachtrag 2: Ein Absolvent (Matura Juni 2006) kontaktiert mich mit folgendem persönlichen Problem: Er wechselt jedes Semester seine Studienrichtung und weiß nicht, woran er sich orientieren soll. Er bittet mich um eine Erklärung, warum ich mich damals für meine Studienfächer entschieden habe und dergleichen. Gerne beantworte ich ausführlich seine Mail und berate ihn. Zugegeben, diese eine Stunde ist streng genommen nicht in diese Woche gefallen, es war am Sonntag davor.

Nachtrag 3: Diesen Blog-Beitrag habe ich auch als Lehrer geschrieben. Zur Lehrerarbeitszeit gehört genau genommen alles, was ich nicht zu tun hätte, wäre ich nicht Lehrer.

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2 Antworten

  1. Andreas Hirsch sagt:

    Ich denke, dass Lehrer den besten und gemütlichsten Job in Deutschland haben, selbst dann wenn sie engagiert sind. Entschuldigen Sie bitte, aber all das, was Sie hier schreiben können Sie zwar so empfinden, aber es hat nichts mit der Realität zu tun. Das Problem ist doch folgendes: klar ist es als Lehrer stressiger, als es als Student war und DAS ist eben die einzige Erfahrung, die SIE haben. Fakt ist: es gibt keinen Beruf, der nur annähernd so viel Urlaub bietet, selbst, wenn Sie ab und an noch was vorbereiten oder sich fortbilden. Und wer sagt Ihnen denn eigentlich, dass es in anderen Berufsgruppen nicht üblich ist, abends nach der Arbeit noch das ein oder andere zu recherchieren, um sich „auf dem Laufenden“ zu halten? Oder dass man abends noch mit Kunden essen gehen muss (darf), sehr angespannt small Talk auf Englisch betreibt, um Mitternacht heim kommt und am nächsten Morgen um 9 Uhr eine Präsentation beim wichtisten Kunden des Unternehmens halten muss? Wo war denn ihr Kollege „in der Wirtschaft“ tätig und was war seine Aufgabe? Lieber Herr Moser, ich finde Ihren Beitrag wirklich sehr oberflächlich und fast schon ein wenig wirklichkeitsfremd.
    Übrigens: diesen Blog.Beitrag habe ich in meiner Freizeit geschrieben! Ich maße mir nicht an, auch diese Tätigkeit noch meinem Beruf zuzuordnen! Übrigens 2: mein letzter Urlaub war vor 6 Monaten und für Sex ist leider kaum noch Zeit.

  2. johann moser sagt:

    Es ist schon interessant: am Besten und Gemütlichsten haben es immer die anderen. Ich stelle mir Manager oder Politiker so vor: Lassen sich in der Arbeitszeit Kaffee servieren, lesen Zeitung und telefonieren während der Arbeitszeit auch privat, sparen bei (Abend-)Empfängen dann noch das Essen und planan ihren Urlaub in der günstigen Nebensaison. Ironie beiseite: die Schule kennen Sie wahrscheinlich nur als Schüler. Denn Ihr „Ich denke“ ich sicher nicht weniger oberflächlich als meine Anmerkungen zur Lehrerarbeitszeit.

    Ich bin übrigens Lehrer in Österreich (da ist die Situation nicht viel anders als in Deutschland, vielleicht haben wir sogar eine Woche länger Ferien; Italien ist da allerdings noch besser dran). Meine Blog-Einträge zur Lehrerarbeitszeit habe ich verfasst, weil im Frühjahr unsere Bildungsministerin zusammen mit der Kronenzeitung (das entspricht etwa Ihrer Bild-Zeitung), eine etwas vulgäre Anti-Lehrer-Kampagne gestartet hat, als Bildungsreformdebatte getarnt. Da ist es schon erlaubt, über eigene Erfahrungen zu schreiben. Nichts anderes sind meine Tätigkeitsberichte. Weil in der Lehrer- und Bildungsdebatte sind ja alle ExpertInnen, weil sie selber einmal ein paar Jahre die Schulbank gedrückt haben.

    Ob ich meinen Blog-Eintrag in der Freizeit oder in meiner Lehrerarbeitszeit schreibe, ist zeitlich gesehen übrigens ziemlich egal.

    Sollten Sie nicht deutlich mehr als ich verdienen, dann würde ich allerdings eine Lehrerausbildung empfehlen. Vielleicht sind Sie sogar pädagogisch geeignet, dann umso besser. Dann bleibt neben den Ferien sogar noch etwas Zeit für Sex.

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